Andreas Kaufmann (Text und Foto)
Das Lusthäuschen beim Henzihof gilt als inoffizieller Treffpunkt der Quartierbewohner – seine Zukunft aber ist nach wie vor unklar
An diesem Morgen gäben sich die Besucher die Klinke in die Hand – wenn die Pforten des Lusthäuschens nicht ohnehin schon offen wären. Drinnen trifft man auf Bea Beer, Präsidentin des Quartiervereins Weststadt. Stühle als Hinterlassenschaft des Vorabends: Der «Chor der Nationen» hat hier auf kleinem Raum ein Festli steigen lassen, nun gehts ans Aufräumen. Gleich daneben hilft eine Frau mit ihren Kindern bei der Pflege des Umschwungs mit der Hochstamm-Hostet mit. «Ich hüpfe gern auf dem Heu herum», verrät die fünfjährige Sofie nach erfolgtem Heuen. «Die Kinder sollen den Bezug zur Natur haben. Und wir müssen die Möglichkeiten nutzen, ihnen zu zeigen, was eine Heugabel ist», sagt Mutter Bettina Kunz. Durch ihr Engagement an einem Gemeinschaftsgarten sei sie auch aufs Lusthäuschen aufmerksam geworden. Nun zählt sie zu den zahlreichen Nutzniessern und Helfern des inoffiziellen Quartiertreffpunkts.
Von jenen, die man nicht vor Ort antrifft, liest man im «Hüttenbuch». Von der Bitte junger Besucherinnen: «Liebe Lusthäuschenbesitzer: Dürfen wir hier einen Mädchentreff machen?» Beim Weiterblättern findet man die Einladung zum Äpfelpflücken oder zur «Stunde der Gartenvögel». Fotos und handschriftliche Einträge erzählen: von Asylsuchenden, die beim Mosten mithelfen, vom Chindsgi auf Besuch, von Erntedankfesten, von der Eröffnung der Grillstelle, die auch im tiefsten Winter Dutzende Interessierte anlockte, von Sägessekursen ... Und vor allem erfährt man über zupackende Hände, die hier in den vergangenen vier Jahren einiges geschaffen haben.
Unterstützung mit Tat und Geld
Schon als Mädchen spazierte Beer selbst am Häuschen vorbei, das hier – in Efeu und Brombeerstauden gekleidet – geduldig ausharrte, verwunschen und verfallen, aber nicht ganz vergessen. Als Kohlelager wurde das Kabäuschen zwischenzeitlich gebraucht – und von der Lustbarkeit, vom süssen Nichtstun, um derentwillen es der Fabrikant Franz Henzi 1915 erbaut hatte, blieb eine dumpfe Ahnung. Kaum 100 Jahre nach seinem Bau, 2013, holte es der Quartierverein unter fachkundiger Anleitung aus seinem Dornröschenschlaf. Neben unzähligen Fronstunden der Fans kam die Unterstützung der Stadt, der Denkmalpflege, des Heimatschutzes, einiger Stiftungen und weiterer Sponsoren hinzu. Rund 130 000 Franken flossen bereits in den Topf. Investiert wurden 75 000 Franken, zuzüglich weiterer 24 000 Franken für den Erschliessungsweg. Zudem zieren besagte Grillstelle und ein altersgerechtes Sitzbänkli der Age-Stiftung das Ensemble.
Eigentlich ist das Lusthäuschen um Längen zu klein für ein Quartierzentrum, wie es der Weststadt-Verein seit langem ins Auge fasst. Dennoch hat es den Treffpunkt-Charakter mit Anziehungskraft: «Ich habe noch nie erlebt, dass das Häuschen jemanden kaltlässt», so Beer. Und stören tue das Häuschen kaum jemanden. Mehr noch: Das Lusthäuschen ist bereit für mehr. «Es gibt unfertige Stellen sowie neue Ideen», sagt Beer. Ab 1. September könnten regelmässige Anlässe im familiären Rahmen stattfinden, Stubete, Podien, Ausstellungen, Lesungen, sagt Beer.
Der «Weitblick» naht
Bei allem Engagement gibt es nun aber einen entscheidenden Bremsklotz namens Ungewissheit: Der Henzihof befindet sich auf einem Baufeld des «Weitblicks». Im Horizont der nächsten 45 Jahre soll hier eine Arealfläche von 175 000 Quadratmetern erschlossen werden. «Aktuell lässt die Stadt durch ein externes Fachbüro die Schutzwürdigkeit des Henzihofs mit Nebenbaute und Lusthäuschen abklären», ist vom Stadtbauamt auf Anfrage zu hören. Für einen Abriss vorgesehen seien jedoch Stöckli und Nebengebäude des Henzihofs. Die Mieter ziehen per Ende 2017 aus. Spätestens bis 2019 dürften auch die Bewohner des Henzihofs selbst ausgezogen sein.
Ob es also das Lusthäuschen in fünf Jahren noch gibt, weiss niemand. So verstehen auch die Fans das Objekt ihrer Freude als «Zwischennutzung», ähnlich wie jene des benachbarten Bikeparks. Dies macht nun aber künftige Investitionen und die Sponsorensuche nicht einfacher. Derweil wird seitens «Weitblick»-Charta der Begriff «Identitätsanker» ins Feld geführt – um zu zeigen, was genau in dieser Ecke des «Weitblick»-Perimeters entstehen soll. Über die Zusammenarbeit mit der Stadt zeigt sich Beer dennoch zufrieden. Und positiv stimmt sie, dass gerade die kantonale Denkmalpflege genau hinschaue. Auch wenn das Lusthäuschen bloss schützenswert, aber nicht geschützt ist: «Es ist einzigartig in der Schweiz.» Bereits vor zwei Jahren würdigte Stefan Blank als Leiter der Denkmalpflege dessen einmaligen Charakter. Es sei ein Beispiel für Historismus und verbinde neugotische Spitzbogenfenster, fernöstliche Elemente und englische Kleinarchitektur sowie den Schweizer Chaletstil. Das Verarbeiten von Kieselsteinen und Ziegelbruchstücken verleihe dem Bau eine «Grotten»-Optik, schreibt die Fachliteratur. Als Kuriosum: Das Lusthäuschen verfügt über einen Ein-Personen-Liftschacht, der in den Dachstock führt. Ob der damalige Lift handbetrieben oder elektrifiziert war, ist unklar.
Lusthäuschen versetzen?
Einige sind schon bei Beer mit der mehr oder weniger ernsthaften Absicht vorstellig geworden, dem Lusthäuschen im eigenen Garten Asyl zu gewähren. «Auch ich würde es gerne bei mir aufnehmen», sagt sie selbst schmunzelnd. Nun ist der Umzug von Gebäuden an einen anderen Standort technisch nicht grundsätzlich unmöglich, aber laut Baufachleuten halt enorm teuer. «Ausserdem gehört das Häuschen hierhin – ins Ensemble mit Henzihof und Hostet.» In dieser Gebäudekombination, so Beers Idee und Hoffnung, könnte der dereinstige Wunsch nach einem Quartierzentrum seine Erfüllung finden. «Der besagte Identitätsanker existiert nämlich schon», sagt Beer und zeigt aufs Lusthäuschen: «Hier ist er.»